«Unsere Welt wird insgesamt diverser: Das überträgt sich auch auf das Wirtschaftsleben.»
Ein Unternehmen macht Gewinne, der Inhaber häuft ein Vermögen an. Doch was, wenn die Organisation in einem Modell des Verantwortungseigentum geführt wird? Dann wird unsere Wirtschaft bunter und stärker, sagt Anne Sanders von der Universität Bielefeld.
Frau Sanders, ganz konkret: Wo haben Sie in Ihrem Privatleben zuletzt Verantwortungseigentum erlebt?
Da muss ich nicht lange nachdenken. Wenn ich zum Beispiel etwas im Internet suche, nutze ich die Suchmaschine Ecosia, da pflanze ich durch das Surfen gleichzeitig noch ein paar Bäume. Wenn ich auf einer meiner vielen Reisen mal wieder am Kölner Hauptbahnhof lande, hole ich mir mein Porridge bei Haferkater. Ansonsten gehe ich bei Alnatura einkaufen. Und in Sachen Kosmetik nutze ich schon lange die Produkte von Dr. Hauschka. Die hat schon meine Mutter gekauft, wenn es finanziell mal ganz gut aussah bei uns. All das sind Unternehmen, die das Prinzip des Verantwortungseigentums in der einen oder anderen Form praktizieren oder es praktizieren wollen.
Was genau ist denn Verantwortungseigentum?
Wichtig ist zu verstehen, dass Verantwortungseigentum an sich nur ein Konzept ist. Die juristische Umsetzung kann vollkommen unterschiedlich aussehen. Die grundlegende Idee besagt, dass diejenigen, die in einem Unternehmen die Entscheidungen treffen, keine Gewinne daraus ziehen können. Daher auch der Name: Die Inhaber der Stimmrechte tragen Verantwortung, aber haben keinen Zugriff auf das Geld wie andere Unternehmenseigentümer. Geld wird verdient, um es zu reinvestieren, den Mitarbeitenden gute Löhne zu zahlen, Kredite abzutragen und den Zweck des Unternehmens möglichst gut zu verfolgen. Das kann Krankenfürsorge bei einem Krankenhaus sein, das Bauen guter Fenster oder eben auch das Pflanzen von Bäumen.
Es gilt also egal für welchen Zweck?
Bei der Wahl des Zwecks herrscht Freiheit; er muss nicht gemeinnützig sein. Man kann den Zweck auch ändern. Der Zweck kann aber nicht sein, Rendite für die Gesellschafter zu erwirtschaften. Gewinne dürfen nur Mittel zum Zweck sein, nicht der Zweck an sich, das ist ein bedeutsamer Unterschied gegenüber dem, was man in vielen Unternehmen beobachten kann. Das werteorientierte Handeln steht für die Unternehmer, die das Konzept des Verantwortungseigentum leben wollen, klar im Vordergrund.
Und in welcher Form kann man das rechtlich umsetzen?
In verschiedenen Formen, zum Beispiel mit Stiftungen oder mit dem sogenannten Veto-Share-Modell. Bei Letzterem wird das Konzept im Gesellschaftsvertrag einer GmbH verankert und eine unabhängige Partei, etwa die Purpose Stiftung, bekommt einen Kleinstanteil, um zu sichern, dass diese Grundprinzipien auch langfristig bestehen bleiben. Anders als bei Genossenschaften, die auf dem Prinzip der gegenseitigen Förderungen basieren und basisdemokratisch organisiert sind, hat beim Verantwortungseigentum nicht zwangsläufig jede Mitarbeiterin und Mitarbeiter gleiches Stimmrecht bei Entscheidungen. Aber wie gesagt: Da gibt es viele mögliche Spielarten.
Welche Unterschiede gibt es denn international?
Es gibt einige traditionsreiche Unternehmen, die sich einem Stiftungsmodell verschrieben haben, das man auch zum Verantwortungseigentum zählen kann. In der Schweiz gibt es zum Beispiel Rolex und Victorinox, dort halten die Stiftungen einen Großteil oder sogar hundert Prozent der Aktien. In den USA sind solche Stiftungsmodelle steuerlich so ausgestaltet, dass man es dort nicht machen kann. Der Outdoor-Ausstatter Patagonia hat sich dort eine Doppelstruktur gebaut, die eine Ähnlichkeit mit der Struktur von Bosch hat. Da liegt das Kapital bei einer Art Stiftung und die Stimmrechte bei einer anderen Gesellschaft. So ein Modell ist wahnsinnig schwer aufzusetzen und zu verwalten und für kleinere Unternehmen kaum zu bewältigen.
Das klingt ganz schön aufwändig …
Es kommt ganz auf die rechtlichen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern an. Weil die Gesetzeslage es erlaubt, gibt es in Dänemark unglaublich viele Stiftungsunternehmen, die man zum Verantwortungseigentum zählen kann, zum Beispiel Carlsberg und Novo Nordisk. Die aktuelle Regierung in Deutschland hat im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie Unternehmen mit gebundenem Vermögen eine passende Rechtsgrundlage schaffen wollen. In den Niederlanden gibt es schon jetzt sehr gute Hilfskonstruktionen, mit denen man sich ein Verantwortungseigentum zusammenbauen kann. Weil die Niederländer aber sehr pragmatisch sind, hat das Parlament im April 2024 beschlossen, ebenfalls eine eigene Rechtsform zu schaffen. Und auch das Justizministerium von Portugal interessiert sich für passende Lösungen. In einer konkreten juristischen Form gibt es das Verantwortungseigentum also nur in wenigen Ländern. Aber da ist ziemlich viel in Bewegung …
Woher kommt dieser Trend?
Unsere Welt wird ja insgesamt diverser. Und das überträgt sich auch auf das Wirtschaftsleben. Es gibt viele unterschiedliche Menschen, die verschiedene Arten von Unternehmertum als richtig empfinden. Inzwischen suchen auch immer mehr Start-ups nicht mehr den klassischen Exit, also den schnellen Verkauf mit maximalem Gewinn, sondern wollen ihre Werte und Ideale bewahren. Selbst für meine Jura-Studierenden ist es ein Thema: Nur wenige wollen sich noch mit viel Geld in eine Anwaltskanzlei einkaufen. Die wollen gerne mitarbeiten, Verantwortung übernehmen, aber nicht das finanzielle Risiko tragen. Für all diese Menschen und Motivationen braucht es ein neues Unternehmensmodell.
Lässt sich das Konzept für jede Branche anwenden?
Theoretisch ja. Aber auch, wenn zurzeit viel diskutiert wird, wird das Verantwortungseigentum meiner Einschätzung nach immer nur eine von vielen guten Möglichkeiten bleiben. Das Modell ist einfach nicht für jeden geeignet. Manche Menschen wollen mit ihrem Unternehmen Geld verdienen, es irgendwann gewinnbringend verkaufen – und das ist auch völlig okay so. Ich bin aber überzeugt, dass zu einer gesunden Wirtschaft Vielfalt gehört.
Gibt es denn berechtigte Kritik an dem Modell?
Aus meiner Sicht nicht. Steuerliche Vorteile bietet das Modell auf jeden Fall nicht. Manche Juristen sind aber der Ansicht, dass es keine rechtlichen Formen geben darf, mit denen man sich dauerhaft festlegt. Unternehmerinnen und Unternehmer sollen sich also immer umentscheiden können, ob sie ihre Firma doch verkaufen wollen. Das können sie im Verantwortungseigentum auch, wenn sie nicht mehr mitmachen wollen, aber sie können halt den Verkaufserlös nicht selbst behalten.
Viele glauben auch, dass Wirtschaft ohne Gier nicht funktioniert.
Ja, das ist aber eine sehr verstaubte Vorstellung. Warum sollten Menschen, die etwa wie ich an einer Universität arbeiten, in einer Schule, Polizei oder im Museum sonst überhaupt motiviert sein? Und ein gutes Gehalt kann man auch in einem Unternehmen in Verantwortungseigentum bekommen. Das Problem ist, dass viele Menschen sich noch immer auf den schottischen Aufklärer Adam Smith berufen. Aber Smith lebte im 18. Jahrhundert, seine Ideen vom freien Markt fußen auf dem einfachen Bäcker oder Fleischer. Die brauchten damals mehr wirtschaftliche Freiheit.
Brauchen Firmen in Verantwortungseigentum diese Freiheit heute nicht?
Doch! Auch sie müssen sich am Markt behaupten und wollen frei von staatlichem Zwang arbeiten. Doch heute haben wir es nicht nur mit Bäckern und Fleischern um die Ecke zu tun, die persönlich haften für ihre Schulden, sondern mit vielen Unternehmen, deren Anteilseigner im Minutentakt wechseln und die so einflussreich sind wie Staaten. Es ist also höchste Zeit, unsere Vorstellung von wirtschaftlichem Erfolg zu hinterfragen.
Welche Anreize würde das Verantwortungseigentum da bieten?
Mein Kollege Steen Thomsen von der Copenhagen Business School hat unter dänischen Stiftungsunternehmen eine ganze Reihe groß angelegter Studien durchgeführt und dabei tatsächlich herausgefunden, dass diese Unternehmen eine größere Überlebenswahrscheinlichkeit haben als traditionelle Unternehmen und wirtschaftlich nicht weniger erfolgreich sind. Zudem bleiben mit einer solchen Struktur Unternehmen im eigenen Land, weil sie kaum von Investoren aufgekauft werden können.
Und auch bei der Nachfolgesuche in inhabergeführten Unternehmen können neue Eigentumsmodelle hilfreich sein, oder?
Ja, gerade gibt es so viele mittelständische Unternehmen, die händeringend nach einer passenden Nachfolge suchen. Das Verantwortungseigentum würde ihnen die Möglichkeit bieten, einem geeigneten Mitarbeiter, der nicht über das nötige Kapital verfügt, die Firma quasi zu schenken – unter der Vorgabe, dass er es dann an den nächsten geeigneten Mitarbeiter weiterschenkt.
Bleiben noch die Mitarbeitenden: Wenn sie nicht explizit über Stimmrechte verfügen, welche Vorteile haben sie dann?
Man darf nicht vergessen, dass sich Unternehmen mit einem innovativen Organisationsmodell oder einer modernen Unternehmenskultur auch attraktiver für Mitarbeitende machen. In Zeiten des Fachkräftemangels und einer Gen Z, die sich ihre Jobs sehr genau aussucht, ist das ein entscheidender Vorteil. Viele dieser jungen Leute wollen gern an sinnstiftenden Projekten arbeiten, aber nicht daran, die Anteile des Chefs im Wert zu steigern. Viele Verantwortungsunternehmen, mit denen ich spreche, haben keinen Mangel an Bewerbern, im Gegenteil. Wer vor solchen oder ähnlichen Herausforderungen steht, sollte also vielleicht nicht nur an Gehältern und Arbeitszeitmodellen schrauben, sondern vielleicht auch an dem grundlegenden Organisationsmodell.
Anne Sanders, 46
promovierte Juristin, leitet den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und das Recht der Familienunternehmen und Justizforschung an der Universität Bielefeld.
Dieses Interview ist ein Produkt der CP-Redaktion der brand eins Medien AG, Hamburg, im Auftrag des Migros Pionierfonds.
Konzept, Redaktion und verantwortlich für den Inhalt: Margitta Schulze Lohoff
Text: Laslo Seyda (fr)
Gestaltung: Deborah Tyllack
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