«Wir müssen ein Systemverständnis entwickeln.»

Wir haben mit Tobias Schäfer, Referent für Gewässerschutz beim WWF Deutschland, über unsere Wassersituation gesprochen, über Wasser als Kreislaufwirtschaft par excellence, über neue Möglichkeiten – und über Hoffnung. 
 

Wasser ist essentiell für alle Lebewesen auf diesem Planeten. Es bedeckt über 70 Prozent der Erdoberfläche. 97,5 Prozent davon ist Salzwasser in Meeren und Ozeanen, und nur 0,3 Prozent ist für den Menschen zugängliches Süsswasser in Flüssen, Seen und Bächen. 

Und diese sind nicht nur die Grundlage für unser Trink- und Brauchwasser, sondern spielen auch aus ökologischer Sicht eine entscheidende Rolle. Obwohl sie weniger als ein Prozent der Erdoberfläche ausmachen, sind sie Lebensraum für über zehn Prozent aller bekannten Tierarten. Süsswasserlebensräume sind ein Hotspot der Biodiversität.

Gründe genug also, unsere Süsswasservorkommen zu schützen, sollte man meinen. Doch allein in der Schweiz genügen nur noch 20 Prozent der Gewässerstrecken den Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes, nur 3,6 Prozent sind ökologisch wirklich noch «äusserst wertvoll». Von diesen 3,6 Prozent ist wiederum nur knapp ein Viertel ausreichend geschützt. Doch nur ein gesundes Ökosystem kann uns unsere Lebensgrundlage Wasser erhalten, und nur gesunde Gewässer sind widerstandsfähig, zum Beispiel gegen die Auswirkungen des Klimawandels. 


Tobias Schäfer, was zählt alles zum Gewässerschutz? 
Tobias Schäfer: Grundsätzlich betrachten wir beim Thema Gewässerschutz verschiedene Dimensionen. Die des mengenmässigen Zustands, also Fragen von ausreichend, zu viel oder zu wenig Wasser oder auch guter Wasserversorgung. Dazu kommt die stoffliche Dimension, bei der es vor allem um die Belastungen mit Schadstoffen oder auch Nährstoffen geht. Und dann haben wir die ökologische Dimension, also die Gewässer als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, aber auch als prägende Elemente der Landschaft. Und dann muss man natürlich auch über die Gewässer in ihrer Vielfalt, Eigenart und Schönheit nachdenken, so wie es im deutschen Bundesnaturschutzgesetz benannt ist, also in ihrer Bedeutung für Erholung und Freizeit, besonders auch in der Schweiz. Das ist fast eine anthropologische Komponente und gehört für mich dazu, weil die Frage, wie wir Gewässer wahrnehmen, natürlich sehr viel dazu beiträgt, wie wir Gewässer behandeln.

 

Wie ist die aktuelle Situation beim Gewässerschutz? 
Tobias Schäfer: Was Gewässern zu schaffen macht und sie letztendlich kaputt machen kann, sind die üblichen Verdächtigen seit Jahrzehnten. Industrielle Landwirtschaft, Binnenschifffahrt, Wasserkraft, Hochwasserschutz – das sind vier grosse Bereiche, bei denen wir viel kaputtmachen. Wir haben eine stark auf Entwässerung getrimmte Landwirtschaft. Deswegen haben wir an vielen Stellen begradigte Bäche statt solcher, die sich winden, rauschen und sprudeln.  Die fehlende Gewässer- und Uferstruktur wirkt sich natürlich auf die Qualität des Wassers aus. Und natürlich haben wir ein Riesenproblem mit der Überdüngung der Gewässer. Rund ein Drittel der Fläche in Deutschland ist so stark mit Nährstoffen belastet, dass man das anstehende Grundwasser nicht direkt fördern und trinken kann, weil 50 Milligramm Nitrat als Grenzwert überschritten wird. Man muss es dort also mischen oder aufbereiten, dabei ist es Grundwasser. Auch in der Schweiz und vor allem im landwirtschaftlich intensiv genutzten und stark besiedelten Mittelland ist das Grundwasser grossflächig durch Nitrat belastet. Der Dünger gelangt über Bäche und Flüsse bis in die Küsten- und in die Meeresgewässer hinein. Und dann kommen noch die Pestizide hinzu, und auch das hat natürlich immense Auswirkungen auf die Lebewesen in den Gewässern.

 

Was sind die Gründe für die hohe Wasserbelastung? 
Tobias Schäfer: Der Hauptverursacher ist seit Jahrzehnten die industrielle Landwirtschaft, die sehr verlustreich ist, weil sie den Boden nicht gut behandelt. Die auf vielen fossilen Energieinputs basiert und die Kreisläufe nicht schliesst. Eigentlich will man ja in der Landwirtschaft Tierhaltung und Ackerbau zusammenbringen und Nährstoffe möglichst im Kreis führen, aber wir haben eine industrielle Landwirtschaft, die das weitgehend trennt.
Dabei zeigt uns Wasser selbst, dass man Dinge im Kreis führen kann, der Wasserkreislauf ist sozusagen die Kreislaufwirtschaft par excellence. Der ökologische Landbau versucht wenigstens, möglichst verlustarm und möglichst effizient mit den vorhandenen Ressourcen und dem Boden umzugehen. Was Landwirtschaft braucht, ist gesunder Boden, ausreichend Wasser, Artenvielfalt insbesondere im Boden selbst, aber auch die Vielfalt der Nutzpflanzen und natürlich ein angemessenes Klima. Das zu stützen müsste eigentlich das Anliegen jeder Landwirtschaftspolitik sein.

 

Wo müssten wir ansetzen, um Veränderungen herbeizuführen? 
Tobias Schäfer: Wir müssen zuerst ein Systemverständnis entwickeln. Wasser ist das Paradebeispiel für einen Kreislauf. Das Wasser, das wir jetzt zur Verfügung haben, dreht sich immer wieder im Kreis. Es regnet als sauberes Wasser herunter und dann können wir es nutzen, wobei natürlich auch Tieren und Pflanzen und der ganzen Landschaft genug Wasser zur Verfügung stehen muss. Wir müssen uns klar machen, dass es eben nicht eine Ressource ist, die irgendwo als fossiles Vorkommen herumliegt. Wir beschäftigen uns hier mit einem Ausschnitt aus einem Kreislauf. Wasser ist ein Fluss und kein Vorrat. 
Man sagt, dass Böden die Archive der Landschaft sind, man entdeckt archäologische Funde und kann in Sedimenten mögliche Prozesse nachvollziehen. Und auch die Gewässer sind ein Abbild dessen, wie wir mit Natur und Landschaft insgesamt umgehen. In den Gewässern spiegeln sich z. B. die Stofffrachten aus dem Einzugsgebiet, und sie bilden letztlich ab, was an Land richtig oder falsch gelaufen ist.

 

Welche konkreten Lösungen könnte es zum Beispiel in der alternativen Landwirtschaft geben? 
Tobias Schäfer: Es lohnt sich, zu schauen, welche intelligenten Systeme die Natur uns als Vorbilder liefert. Es gibt zum Beispiel die Terrassenlandwirtschaft in Asien. Hier hat man es über Jahrhunderte geschafft, Systeme zu bauen, in denen das Wasser von einer Terrasse zur anderen rieselt, um so Reisfelder zu bewässern. Wir müssen angepasst an die jeweilige Landschaft überlegen, wie wir sinnvolle Kreisläufe schaffen können.

 

Haben Sie Hoffnung, dass wir das als Gesellschaft hinbekommen? 
Tobias Schäfer: Grundsätzlich, ja. Denn was macht einen Fluss aus? Er fliesst, er kann sich erneuern und er ist lebendig. Und diese Fähigkeit gibt mir Hoffnung, weil wir den Flüssen die Möglichkeit geben können, wieder zu sich zu finden, indem man zum Beispiel Staudämme herausnimmt oder die Belastungen abstellt, indem man ein bisschen nachlässt mit dem, womit wir so übertrieben haben. Es gibt sehr eindrucksvolle Erfolge im Bereich Renaturierung, dort wandern wieder Fisch- oder Vogelarten ein und es bewegt sich wirklich etwas zum Guten. Zum Beispiel wurde die Bünz, der viertlängste Fluss im Aargau, jahrelang in ein «Korsett» gezwungen und verlief fast durchgehend kanalisiert. Die Bachforellen konnten ihre Eier nicht mehr im Fluss ablegen, weil die Sohle wie festgebacken und zu hart für Laichgruben war. Heute, nach der Renaturierung, ist die Bünz wieder ein richtiger Bach mit lockerem Kiesboden, in dem nicht nur die Bachforelle wieder ablaichen kann, sondern von dem auch andere Tierarten profitieren. 
Es ist auch eine Wahrnehmungsfrage. Diese Wasserkrise nehmen viele noch gar nicht richtig wahr, weil wir Wasser immer als selbstverständlich angenommen haben. 
Mit der Trockenheit fangen wir jetzt an, die Probleme zu bemerken, aber von der ökologischen Seite her sind wir schon seit Jahrzehnten auf dem absteigenden Ast. Das müssen wir begreifen und dann haben wir, glaube ich, eine Chance.

 

Tobias Schäfer, herzlichen Dank für das Gespräch! 

«Wasser ist ein Fluss und kein Vorrat.»

Tobias Schäfer

Tobias Schäfer, Referent für Gewässerschutz beim WWF Deutschland

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Was ist der Unterschied zwischen Dünger und Pestizid?

Grundsätzlich soll Dünger das Pflanzenwachstum fördern, Pestizide hingegen dienen dazu, schädliche Einflüsse jeder Art zu eliminieren, die dieses Wachstum stören könnten.

Dünger enthalten Makronährstoffe, Nährsalze, Stickstoff, Phosphor, Kalium und Calcium in organischer oder anorganischer Verbindung. Zu den organischen Düngern zählen Gülle, Jauche, Kompost, Klärschlamm und Gründünger. Synthetischer Dünger hingegen enthält gezielt ganz bestimmte Mineralien und wird chemisch hergestellt. 

Pestizide sind Wirkstoffe, die zur Abwehr, Regulierung und Bekämpfung von sogenannten Schadorganismen eingesetzt werden (z. B. gegen Mikroorganismen, Ernte- oder Vorratsschädlinge, «Unkräuter» oder Krankheitsüberträger).